Freiheit

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Samstag, 13. September 2014

Work rules!!! Oder: Arbeit und nichts als Arbeit

In der neuen Sonderausgabe des Stern ,Träume leben' steht, dass mittlerweile viele Arbeitnehmer einer Sucht erliegen. Der Arbeitssucht. A R B E I T S S U C H T!!! 

Ich wette, hätte ich dies jemandem vor 70 Jahren erzählt, der hätte mich nur ungläubig angeguckt und sich vor Lachen den Bauch halten müssen. Mein Opa ist arbeiten gegangen, um seine Familie zu ernähren und ihnen eine gewisse Sicherheit zu geben. Er hat viel gearbeitet, aber Sucht? Nein, bei weitem nicht. In dieser Generation, die den Krieg miterlebt hat, und nicht als Spiel auf der Playstation oder als DolbySurround Version im Heimkino, ging es ums Leben - ums Überleben. Sie haben gearbeitet, weil sie es mussten und um sich nach den Jahren der Entbehrungen etwas leisten zu können oder kurz gesagt mit dem bekannten Satz: sie haben gearbeitet, um zu leben. Und nicht gelebt, um zu arbeiten, so wie wir es tun. 

In der o.g. Stern-Ausgabe wird eine Studie der Universität Bonn aufgeführt, in der steht, dass jeder neunte Arbeitnehmer als tendenziell gefährdet gilt einmal im Leben an Arbeitssucht zu erkranken. Und dass rund 300.000 Menschen akut an dieser Sucht leiden. Weiterhin werden Merkmale genannt, wie man eine Arbeitssucht definiert*: ,Das gesamte Denken und Handeln der Betroffenen bezieht sich ausschließlich auf die Arbeit. Er verliert zunehmend die Kontrolle über Umfang und Dauer seines Arbeitsverhaltens. Er muss immer mehr arbeiten, um die angestrebte Gefühlslage zu erreichen. Es treten psychosoziale Störungen auf. Wenn er nicht arbeitet, leidet der Betroffene unter Entzugserscheinungen, bis hin zu vegetativen Symptomen'. 

Was ist denn nur aus uns geworden? Wir leben heutzutage in so einer verrückten Welt mit so vielen Süchten und psychischen Problemen (wie kann man sexsüchtig werden oder sich in seine Jukebox verlieben (habe ich mal nachts bei Domian gehört)), dass nichts mehr unmöglich scheint. Es ist mittlerweile eine anerkannte Sucht über die es Studien gibt und Kliniken, die diese Sucht behandeln. Sind wir denn alle so unausgefüllt in unserem Dasein neben der Arbeit, dass wir diese Leere nur noch durch noch mehr Arbeit kompensieren können. Status, Ruhm, Geld, Macht - das ist anscheinend in unserer Welt das was zählt. Ich habe auch alles mit Arbeit zugeschüttet, aber nicht wegen o.g. Dingen, sondern um über unangenehme Dinge nicht nachdenken und vor allem nicht fühlen zu müssen. Arbeitssüchtig war ich nicht, aber ich war genauso ausgebrannt wie diejenigen, die daran leiden. Denn der Schritt von der Arbeitssucht hinein in einen Burn out ist kurz. 

Und auch ich spürte die Leere in mir und die tiefe Erschöpfung, die einfach nicht wegging, egal wie viel ich schlief. Und ich spürte und spüre die Einsamkeit. Einsamkeit in einer Welt, in der ich hunderte Facebook-Freunde habe, aber die wenigstens wirklich kenne. Einsamkeit, obwohl es so einfach ist mich zu kontaktieren, da ich jederzeit und überall immer erreichbar bin. Einsamkeit, da ich in der heutigen Zeit nicht mal mehr die Wohnung verlassen müsste, um einkaufen zu gehen, weil alles nach Hause geliefert werden kann. Einsamkeit, da ich mich mit Leuten, die über die ganze Welt verstreut sind, online unterhalten kann und doch immer allein in meiner Wohnung bin. Einsamkeit, weil gesendete Küsse und Umarmungen mich nachts nicht wärmen, wenn ich im Bett liege.

Gestern Mittag nach dem Walken bin ich in die Stadt gefahren, um ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Als ich alles besorgt hatte, ging ich in ein Cafe, um die Zeit zu überbrücken bis mein Bus fuhr. Neben mir saß ein junges Paar, schätzungsweise Mitte 20, und sie bestellten Frühstück. Danach war Ruhe. Denn beide beschäftigten sich nur mit ihrem jeweiligen Mobiltelefon. Ich war zwar alleine, aber die beiden waren ein gutes Beispiel dafür, wie man gemeinsam einsam ist. 

Ich denke, dies alles hängt zusammen, eins führt zum anderen und entwickelt sich zum Teufelskreis. Zuerst die Suche nach Anerkennung, dem Hinterherjagen von Statussymbolen, dazugehören wollen, alles geben, dann das erste Mal den süßen Geschmack des Ruhms kosten und das berauschende Gefühl der Macht erleben, immer mehr davon und immer mehr, niemals genug bekommen. Immer mehr leisten und ackern, damit der Rausch wiederkommt. Aber es wird immer schwieriger und schwieriger dieses Gefühl wieder herbeizurufen. Aber das ist egal, nichts anderes zählt mehr. Bis man sich selbst und auch alle anderen auf dem Weg dahin verloren hat. 

Und nur Leere bleibt. Und Einsamkeit. Denn Freunde sind keine mehr da und die Facebook Kontakte sind nicht mehr, als eine Nummer, die einem höhnisch entgegenblickt. 


* STERN Ausgabe Träume Leben genannte Quelle: Untersuchungen über die Auswirkungen von Arbeitssucht des Bonner Wirtschafts- und Organisationspsychologen Stefan Poppelreuter

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